Wenn wir alle Englein wären...
Und jetzt ist er doch gestorben. Vorgestern hatte er lichtstarre weite Pupillen, ein Zeichen des Hirntodes. Es existierte eine Patientenverfügung, in der er für den Fall einer solchen Situation weitere lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, also wurde die Beatmung nach Rücksprache mit drei Personen, die in dieser Verfügung genannt waren, gestern abgestellt.
Auf den ersten Blick scheinen detaillierte Patientenverfügungen die absolut einwandfreie Lösung dieser "End-of-Life-decisions". Mein Problem damit ist nur, dass in solchen Fällen de facto Bestimmungen für einen Zustand getroffen werden, den keiner kennt, gerade auch der Verfügende nicht. Das heißt, ich nehme meine Meinung für einen Zustand voraus, von dem ich nicht weiß, wie er ist. Wie kann man sicher sein, dass man "so nicht leben will"? Ich denke, die ganze Diskussion geht am philosophischen Kern der Sache vorbei. Sie wird überall geführt, als gehe es dabei um Autonomie des Patienten, ergo des Individuums, aber von der anderen Seite betrachtet ist es letztlich ein Votum des Verfügenden, welchen Zustand er prinzipiell von der Gruppe der "Normalen" ausschließt. Die Gründe für diesen Ausschluss können vielfältig sein und absolut legitim, die psychologische Seite schließt dabei sicherlich eine reflektive Abwehr der eigenen Verwundbarkeit ein. Genau so legitim weil notwendig finde ich zu sagen, in unserer Gruppe der lebenden Menschen gibt es vielerlei Daseinszustände, und hier ziehen wir die Grenze, dieser Zustand ist jenseits unserer Gemeinschaft. Ich glaube, das wäre dann erst eine ehrliche Diskussion. Denn Autonomie kann es nur bei Kompetenz geben, aber Kompetenz kann es für solcherart veränderte Bewußtseins- und Daseinszustände niemals geben. Und so gesehen sind wir dann auch ganz schnell wieder bei der autoritären Medizin, denn ich glaube, dass ein Arzt, der viele dieser Situationen begleitend erlebt hat, kompetenter ist als der Patient selbst, zumal zum Zeitpunkt der Verfassung einer Patientenverfügung. Das ist ganz gut an Aussagen zu erkennen wie "Wenn ich mal im Rollstuhl sitzen müsste, würde ich nicht mehr leben wollen". Das trifft sicher zu für das "ich", das diesen Satz spricht, nämlich das mit zwei gesunden Beinen. In dem Moment, in dem jedoch die Situation bspw. einer Querschnittslähmung eingetreten ist, ist dieses "ich" ja schon ein anderes, nämlich eben das im Rollstuhl. Und die Fakten wirken wiederum rück auf das Erleben und vielleicht auf die Meinung.
Ich erkenne an, dass die Verfügung die immer noch beste Lösung dieses Problems darstellt, allerdings habe ich selbst keine, weil ich mich nicht inder Lage fühle, über diese Situationen zu urteilen. Mein Wunsch wäre nur, dass die Diskussion mehr in die Tiefe geht.
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Heute: Teambesprechung der Privatstation, Oberarzt und drei Privatassistenten. Leitender Oberarzt, grinsend, im Vorbeigehen: "Oh, die private dancers!!"
I'm your private dancer/ dancer for money/ do what you want me to do