8.2.07

Wenn wir alle Englein wären...

Und jetzt ist er doch gestorben. Vorgestern hatte er lichtstarre weite Pupillen, ein Zeichen des Hirntodes. Es existierte eine Patientenverfügung, in der er für den Fall einer solchen Situation weitere lebensverlängernde Maßnahmen ablehnt, also wurde die Beatmung nach Rücksprache mit drei Personen, die in dieser Verfügung genannt waren, gestern abgestellt.
Auf den ersten Blick scheinen detaillierte Patientenverfügungen die absolut einwandfreie Lösung dieser "End-of-Life-decisions". Mein Problem damit ist nur, dass in solchen Fällen de facto Bestimmungen für einen Zustand getroffen werden, den keiner kennt, gerade auch der Verfügende nicht. Das heißt, ich nehme meine Meinung für einen Zustand voraus, von dem ich nicht weiß, wie er ist. Wie kann man sicher sein, dass man "so nicht leben will"? Ich denke, die ganze Diskussion geht am philosophischen Kern der Sache vorbei. Sie wird überall geführt, als gehe es dabei um Autonomie des Patienten, ergo des Individuums, aber von der anderen Seite betrachtet ist es letztlich ein Votum des Verfügenden, welchen Zustand er prinzipiell von der Gruppe der "Normalen" ausschließt. Die Gründe für diesen Ausschluss können vielfältig sein und absolut legitim, die psychologische Seite schließt dabei sicherlich eine reflektive Abwehr der eigenen Verwundbarkeit ein. Genau so legitim weil notwendig finde ich zu sagen, in unserer Gruppe der lebenden Menschen gibt es vielerlei Daseinszustände, und hier ziehen wir die Grenze, dieser Zustand ist jenseits unserer Gemeinschaft. Ich glaube, das wäre dann erst eine ehrliche Diskussion. Denn Autonomie kann es nur bei Kompetenz geben, aber Kompetenz kann es für solcherart veränderte Bewußtseins- und Daseinszustände niemals geben. Und so gesehen sind wir dann auch ganz schnell wieder bei der autoritären Medizin, denn ich glaube, dass ein Arzt, der viele dieser Situationen begleitend erlebt hat, kompetenter ist als der Patient selbst, zumal zum Zeitpunkt der Verfassung einer Patientenverfügung. Das ist ganz gut an Aussagen zu erkennen wie "Wenn ich mal im Rollstuhl sitzen müsste, würde ich nicht mehr leben wollen". Das trifft sicher zu für das "ich", das diesen Satz spricht, nämlich das mit zwei gesunden Beinen. In dem Moment, in dem jedoch die Situation bspw. einer Querschnittslähmung eingetreten ist, ist dieses "ich" ja schon ein anderes, nämlich eben das im Rollstuhl. Und die Fakten wirken wiederum rück auf das Erleben und vielleicht auf die Meinung.
Ich erkenne an, dass die Verfügung die immer noch beste Lösung dieses Problems darstellt, allerdings habe ich selbst keine, weil ich mich nicht inder Lage fühle, über diese Situationen zu urteilen. Mein Wunsch wäre nur, dass die Diskussion mehr in die Tiefe geht.
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Heute: Teambesprechung der Privatstation, Oberarzt und drei Privatassistenten. Leitender Oberarzt, grinsend, im Vorbeigehen: "Oh, die private dancers!!"
I'm your private dancer/ dancer for money/ do what you want me to do

3.2.07

Jaaa, er lebt noch...

Der Patient, der gestern reanimiert werden musste, hat die Nacht überlebt, liegt auf Intensivstation. Bin sehr gespannt, wie sich eine 1stündige Reanimation auf den Menschen auswirkt. Jeden Tag staune ich darüber, dass die Medizin manchmal doch funktioniert.

2.2.07

Oberarzt, zweiter Stationsarzt und ich biegen gerade in die Intensivstation ein, um einen unserer frisch operierten Patienten zu visitieren. Vor einer der Zimmertüren sehen wir schon den geöffneten Notfallkoffer liegen und Ärzte und Pfleger, die auf dem Boden knien. Eine Reanimation. Genauer gesagt: Unser Patient wurde reanimiert. Mein Patient, den ich aufgenommen hatte vor seiner Operation. Lag da auf dem Boden, blau im Gesicht. Leute, die Spritzen anreichen, beatmen, absaugen, auf seiner Brust rumdrücken. Zu diesem Zeitpunkt waren sie schon 10 min an der Arbeit. Nach kurzem Sich-Überblick-Verschaffen (Groß, schwer, kam gerade aus dem Bad und ist zusammengebrochen, vor vier Tagen operiert -> wahrscheinlich fulminante Lungenembolie) sind wir weitergezogen, um unsere anderen Patienten zu sehen. Sind danach zurück gekommen. Da waren die anderen immer noch am Pumpen, nach einer Stunde. Er wurde zwischenzeitlich volllysiert, und hatte danach wieder einen messbaren eigenen Blutdruck, allerdings wird er dafür wahrscheinlich mit Blutungen von seinen frischen OP-Wunden im Bauch bezahlen müssen. Ganz zu schweigen davon, dass sein Gehirn nicht mehr dasselbe sein wird.
Es ist beileibe nicht die erste Reanimation, die ich erlebt habe. Aber meine erste als Ärztin. Noch dazu bei einem Patienten, den ich vorher gekannt habe, und der nicht als Notfall eingeliefert wurde. Ganz schön schwer.