28.11.06

Eine verhängnisvolle Affäre

Liebes Tagebuch,
ich glaube, ich werde erwachsen - morgen habe ich nämlich einen Termin mit meinem Finanzberater. Den ich das letzte mal vor 6 Jahren gesehen habe. Und dessen Post ich in dieser Zeit ungeöffnet in einen Ordner seiner Firma gestopft habe. Das darf er natürlich nie erfahren! Ich werde einfach behaupten, ich hätte die ganze Zeit über an ihn und unsere gemeinsame Zukunft gedacht.
Schon vor einigen Monaten war mir klar geworden, dass es so nicht weitergehen kann, wir mussten uns unbedingt wiedersehen, auch wenn ich zuerst gehofft hatte, dass die Sache zwischen uns unauffällig im Sande verlaufen würde, ohne dass ich mich irgendwie darum kümmern müsste. Zuviel von unseren gemeinsamen Abenteuern hatte ich schon vergessen, ja, vielleicht auch verdrängt, das gebe ich zu. Es war aber oft auch ganz schön kompliziert, worüber er sich unterhalten wollte, und ehrlich gesagt interessierte mich selten, was er so zu sagen hatte. Auch seine Briefe waren fast immer vollkommen unverständlich, gespickt mit aberwitzigen Zahlen, dafür aber jedesmal mehrere Seiten lang; ich wußte nie, was er von mir wollte. Also verleugnete ich irgenwann unsere Bekanntschaft.
Doch natürlich entpuppte sich meine Unabhängigkeit von ihm als Illusion - die Vergangenheit holte mich ein, und eigentlich war mir schon immer klar gewesen, dass es irgendwann so kommen musste. Der Zeitpunkt war da, als mir mein zukünftiger Arbeitgeber einen Brief schickte, der enthielt einen Personalbogen zum ausfüllen und die Aufforderung, neben einem Führungszeugnis den Krankenkassennachweis, den Sozialversicherungsausweis oder den Nachweis über den Eintritt ins Ärzteversorgungswerk und den Nachweis über vermögenswirksame Leistungen in der Personalabteilung vorzulegen.
Meine Kehle schnürte sich zu, Schweißperlen formten sich auf meiner Oberlippe. Krankenkasse?!? Naja, meine Eltern zahlten doch immer für mich, ich weiß, das kann nicht so bleiben, aber... Und wie trete ich denn ins Ärzteversorgungswerk ein? Und warum? Und hab ich eigentlich vermögenswirksame Leistungen? Was sind die denn genau, ich kann mich nur an so einen Zeichentrickfuchs aus Schwäbisch Hall erinnern, der in meiner Kindheit diese zwischen Schwarzwaldklinik und Wetten Dass anpries?!!
Ich wußte, ich brauchte seine Hilfe, obwohl ich es hasste, ihn anzurufen. Morgen treffe ich mich mit ihm. Und ich habe so ein Gefühl, als ob das noch nicht das letzte Treffen werden wird, ach je.

19.11.06

Was ist eigentlich ein Entmüdungsbecken?



Die Tage meiner Galgenfrist, bis der Ernst des Lebens mit 27 Jahren schließlich doch beginnt, fließen gemächlich dahin. Zwischen der Lust darauf, noch möglichst viele spaßbringende Dinge unterzubringen, die ich in absehbarer Zeit nicht oder nur unter größten organisatorischen und physischen Anstrengungen erwarte tun zu können (Snowboarden, Freunde im Ausland besuchen, Parties feiern!), und dem Pflichtegefühl, stattdessen doch besser die kurze Zeit für Unangenehm-nützlich-notwendiges zu verwenden (Versicherungen abschließen, Zimmer entrümpeln, für das amerikanische Examen lernen) bin ich hin- und hergerissen - das Resultat ist meistens, dass ich wie das Kaninchen vor den immer größer werdenden Autoscheinwerfern gelähmt erstarre und mich totstelle und ergo mit der übrigen Zeit gar nichts anfange.

Aber Themenwechsel: Ich musste mich heute bei meiner sonntagfrühnachmittäglichen Katerfrühstück-Mittagessenslektüre schon wieder so sehr ärgern, dass mir fast das Schnitzel im Halse stecken blieb: In der letzten Ausgabe der Zeit, die zum Leitthema "Frauen und Macht" hat (ein Umstand, den ich nicht weiter kommentieren möchte, als dass selbstverständlich keine schlauen Antworten zu finden sind, wenn dumme Fragen gestellt werden), habe ich zum ersten Mal von einem Kommentar Franz Josef Wagners in seiner Bild-Kolumne zur Parteivorsitz-Kandidatur von Andrea Nahles gegen Müntefering gehört, der mich echt aus den Socken gehauen hat, oder, wie mein Vater zu sagen pflegt: "Ich glaub mein Schwein pfeift!" - ich zitiere:

"In Wahrheit ist ein Freundinnen-Netzwerk, arglos geboren als Entmüdungsbecken weiblicher Emotion, die Folterwerkstatt für den Mann. Zuerst trugen die Quasselstrippen kleine Siege davon. Kindersorgerecht, Vaterrecht, Frauenquote. Jetzt stürzten sie Deutschland in die größte Krise. (...) Frau Nahles ist 35, unverheiratet, Literaturwissenschaftlerin. Stellen wir uns einen ahnungslosen Mann vor, der sich in Frau Nahles verliebt. Entweder wird er von ihren Schraubstockhänden erdrückt, totgequasselt von ihren Freundinnen – oder aber er macht ein Kätzchen aus ihr."

Logisch korrekter Schluss:

"Frau Nahles braucht einen Mann."

Um gleich mal eines klar zu stellen: Wann immer ich in letzter Zeit Interviews mit Andrea Nahles gehört oder gelesen habe, ging mir ihre selbstgefällige, als "Aufmüpfigkeit" zur Schau getragene Art gewaltig auf die Nerven. Aber darum soll es hier nicht gehen. Was diese Kolumne betrifft, so stellen sich mir zwei Fragen:
1. Wie weit verbreitet ist diese Meinung, der FJW mit seinem Gekritzel stellvertretend für weniger "eloquente" Idioten als er eine Stimme gibt?
2. Wie soll ich in solch einer Gesellschaft ein gutes Leben führen?

ad 1.: Die Bild-Zeitung ist die auflagenstärkste Tageszeitung Europas und erreicht jeden Tag 11.820.000 Leser. FJW ist schon seit Januar 2001 "Chefkolumnist" bei der Bild (von ihm stammt übrigens auch die van Almsick-Schlagzeile "Franzi van Speck - als Molch holt man kein Gold!" in der B.Z.). Eine Nischenmeinung scheint er also nicht gerade abzubilden, und auch meinem zugegebenermaßen manchmal durch persönliche Frustration pessimistisch gefärbten Empfinden nach ist diese Haltung, Frauen im Vergleich zu Männern Inkompetenz aufzustempeln unfassbar weit verbreitet - wenn auch selten so ostentativ und skrupellos geäußert. Das einzig konsequente Resultat aus Unfähigkeit wäre dann natürlich Machtlosigkeit und Unterwerfung, und wenn statt dessen ein Beispiel daherkommt, das diese Klischees als bloßes Wunschdenken Kastrationsgeängstigter entlarvt, wird scharf geschossen.

ad 2.:Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die in der Lage ist, Geschlechterklischees als ebensolche zu erkennen, und danach strebt, diese weitgehend abzulegen. Ich glaube nicht, dass das bedeutet, reale Unterschiede zu verleugnen, wie der Frauenbewegung ja immer wieder vorgeworfen wird. Ich glaube einfach, dass interindividuelle Unterschiede immer entscheidender sind als große Schubladen, in die eine möglichst große Anzahl an Menschen reinpasst. Aus eigenen Ängsten nicht in der Lage zu sein, diese Individualität anzuerkennen, bedeutet, dem Menschen, meinem Gegenüber nicht gerecht zu werden. Für mich stellt diese Gerechtigkeit allerdings das ultimative Ziel im Umgang miteinander dar. Was hilft? Phrasen: Den eigenen Weg gehen, Sich nicht unterkriegen lassen; ständig daran arbeiten, nicht von den Klischees eingeholt zu werden. Die Bild Zeitung nicht lesen.


Herzlichst,
...

8.11.06

Ich bin doch nicht blöd!

Die Entscheidung ist am Montag gefallen: Ich bleibe, wo ich bin, und fange am 15.12. zu arbeiten an.
Das ganze Wochenende lang habe ich mir den Kopf zerbrochen, alle möglichen potentiellen Informanten befragt, um schließlich die Nacht auf Montag mich im Bett zu wälzen (Neiiin, vor lauter Grübeln natürlich!) und komplett gerädert aufzuwachen. Dann hab ich weitergegrübelt. Plötzlich klingelte jedoch das Telefon, und der Oberarzt, der mich während meiner Hospitation hier betreut hat, war dran, hat sich nach meinem Befinden erkundigt und dann gefragt:

"15. Dezember ?!"
Und ich: "........Ja!"

So war die Entscheidung also gefallen. Dann hat er mich allerdings gefragt, was ich diese Woche denn vorhätte, da schwante mir schon Übles. Kurz und gut, sie haben mich gefragt, ob ich mithelfen kann, einen Forschungsgelder-Antrag, der in den nächsten Tagen fertig werden musste, zu stellen. Sie hätten Personalnot dafür, und da wäre ich dem Chef gleich eingefallen, und er hat Weisung gegeben, mich zu fragen. So funktioniert das System: Der CHEF hat an mich gedacht! NATÜRLICH habe ich Zeit!! Und deshalb mach ich jetzt schon unbezahlte Überstunden, bevor ich überhaupt angefangen habe.

Jedenfalls sind die alle nett und verrückt, die ich bisher getroffen habe. Ob das der Anästhesist glauben würde, der mich während meines Gynäkologie-PJs gefragt hat, ob ich denn Gyn machen möchte später? Worauf ich wahrheitsgemäß geantwortet habe: "Nö, Chirurgie." Und er, nach einer langen fassungslosen Pause: "Ja hattest du eine schlimme Kindheit, oder was?"

5.11.06

Höher, weiter, schneller

Während ich noch mitten in den Verhandlungen mit mir selbst stecke, welche Stelle ich denn nun antreten soll, erzählt mein Mitbewohner, dass er den derzeitigen Assistenten auf der Privatstation in der Chirurgie hier (eben jene, zu der ich momentan tendiere) gestern getroffen hat. Und was der ihm erzählt hat, klingt folgendermaßen:
Seit drei Monaten keinen! einzigen! Tag! frei! Arbeitszeit pro Tag ca. 14h. Nach dem Nachtdienst normaler Arbeitstag. Am Wochenende um 8h morgens zur Visite antreten. Ergibt eine Wochenarbeitszeit von ca. 110 Stunden. Im Vertrag stehen 42. Überstundenzettel eingereicht (also mit so 60 Überstunden), Kommentar des Chefs: 20 pro Woche dürfen Sie aufschreiben. Der Rest ist gestrichen. Der Klinik geschenkt.

Warum sollte man sich das antun? Es wird einem erzählt, dass sie eben die härtesten und nur deswegen auch die besten sind. Muss man das glauben? Wer in erster Linie davon profitiert, ist derjenige, der an den Privatpatienten Geld verdient. Also der Chef. Ich glaube nicht, dass Leibeigenschaft ntowendig sein muss, um ein guter Arzt zu werden. Und vielleicht sollte man sich öfter daran erinnern, dass es darum letztendlich ja gehen sollte. Selbstverständlich sind uns auch hier die Amis wieder mal voraus:
http://www.jhintl.net/JHI/English/Doctors/Publications/IPU_Jul03_JulieFreischlag.asp
Das ist ein Interview mit der Chefin der Chirurgie an der Johns Hopkins University in Baltimore, in der sie u.a. darauf eingeht, dass ein vernünftiger "lifestyle" einen besseren Arzt macht. Ich habe sie zufällig während meines PJs schon live gesehen, in einer Podiumsdiskussion zur Arbeitszeitregelung in den USA (dort dürfen die residents nur noch 80 h pro Woche arbeiten, die Frage war, ob darunter die Ausbildung leidet...), und auch dort hat sie leidenschaftlich diese Ansicht vertreten, sowie fast die gesamte ältere Ärzteschaft. Nur die residents haben die harten Typen gegeben, die so gerne noch viel mehr arbeiten würden... Neurotisch.
Im Moment fühle ich mich, als müsste ich zwischen Pest und Cholera entscheiden.

4.11.06

Freedom of Worship

check dis out:

Zum Selbermachen auf www.churchsigngenerator.com!

3.11.06

Don't think twice, it's alright...

oh-oh! Erinnert sich jemand, dass bei meinem ersten Bewerbungsgespräch - an der zu meiner Lieblingsstelle auserkorenen Klinik! - der Chef mir eine Stelle in Aussicht gestellt hatte, es aber einen Stellenstop gab und ich im Nachhinein gar nicht mehr wusste, ob das jetzt eine unverbindliche Anmerkung war oder eine quasi-Angebot? Tja, die Sekretärin hat mir gestern auf die mailbox gesprochen, es wäre jetzt soweit, zum 1.12. brauchen sie jemanden...
Mannmann, wäre das zwei Wochen früher gekommen, hätte ich mich noch nicht so auf die Klinik an meinem derzeitigen Wohnort eingeschossen gehabt, und zwei Wochen später hätte ich wohl schon den Vertrag daheim unterschrieben gehabt und die ganze Sache wäre abgehakt. Und im Moment? Im Moment sitze ich da mit einer eigentlich schon sicheren Entscheidung, hier zu bleiben, aber ohne Vertrag bisher...
Habe ich schon erwähnt, wie entscheidungsschwach ich bin?!?
Aber, jammern hilft ja nix und es wäre auch etwas zynisch, sich über ein Zuviel an Möglichkeiten zu beschweren. Außerdem bin ich zu einer neuen Überzeugung gelangt: Es ist EGAL, wo man landet, denn solange man aktiv ist, das beste aus sich und der Situation macht, wird es einem gut ergehen. Weil es einfach immer Gestaltungsspielraum gibt, innerhalb dessen man sich sein Leben passend einrichten kann. Und nicht ganz zu Unrecht nennt meine beste Freundin das "dein amerikanisches Gewäsch", denn das habe ich während meines PJs in Amerika erst richtig deutlich festgestellt. YOU MAKE THE DIFFERENCE! YEAH!!
Also, was ich sagen möchte, ist, dass es keine "beste/richtige/optimale Wahl" geben kann, ganz speziell, wenn es sich um mehrere an sich gute Angebote handelt. Denn jede Möglichkeit enthält soviele Unwägbarkeiten, dass eine "Entscheidung" im eigentlichen Sinne gar nicht möglich ist (Überhaupt sind Entscheidungen dahingehend nur die Illusion von Ordnung im Chaos).Daher sind mutige Sprünge ins kalte Wasser gefragt mit der Zuversicht, dass es immer viel stärker auf die eigene Person ankommen wird, als auf alles andere. Und das ist doch total befreiend:
Es ist egal, wofür man sich entscheidet.
Und man ist von nichts und niemandem abhängig für das eigene Glück.

Soweit die Theorie - und was mach ich jetzt?!