5.11.06

Höher, weiter, schneller

Während ich noch mitten in den Verhandlungen mit mir selbst stecke, welche Stelle ich denn nun antreten soll, erzählt mein Mitbewohner, dass er den derzeitigen Assistenten auf der Privatstation in der Chirurgie hier (eben jene, zu der ich momentan tendiere) gestern getroffen hat. Und was der ihm erzählt hat, klingt folgendermaßen:
Seit drei Monaten keinen! einzigen! Tag! frei! Arbeitszeit pro Tag ca. 14h. Nach dem Nachtdienst normaler Arbeitstag. Am Wochenende um 8h morgens zur Visite antreten. Ergibt eine Wochenarbeitszeit von ca. 110 Stunden. Im Vertrag stehen 42. Überstundenzettel eingereicht (also mit so 60 Überstunden), Kommentar des Chefs: 20 pro Woche dürfen Sie aufschreiben. Der Rest ist gestrichen. Der Klinik geschenkt.

Warum sollte man sich das antun? Es wird einem erzählt, dass sie eben die härtesten und nur deswegen auch die besten sind. Muss man das glauben? Wer in erster Linie davon profitiert, ist derjenige, der an den Privatpatienten Geld verdient. Also der Chef. Ich glaube nicht, dass Leibeigenschaft ntowendig sein muss, um ein guter Arzt zu werden. Und vielleicht sollte man sich öfter daran erinnern, dass es darum letztendlich ja gehen sollte. Selbstverständlich sind uns auch hier die Amis wieder mal voraus:
http://www.jhintl.net/JHI/English/Doctors/Publications/IPU_Jul03_JulieFreischlag.asp
Das ist ein Interview mit der Chefin der Chirurgie an der Johns Hopkins University in Baltimore, in der sie u.a. darauf eingeht, dass ein vernünftiger "lifestyle" einen besseren Arzt macht. Ich habe sie zufällig während meines PJs schon live gesehen, in einer Podiumsdiskussion zur Arbeitszeitregelung in den USA (dort dürfen die residents nur noch 80 h pro Woche arbeiten, die Frage war, ob darunter die Ausbildung leidet...), und auch dort hat sie leidenschaftlich diese Ansicht vertreten, sowie fast die gesamte ältere Ärzteschaft. Nur die residents haben die harten Typen gegeben, die so gerne noch viel mehr arbeiten würden... Neurotisch.
Im Moment fühle ich mich, als müsste ich zwischen Pest und Cholera entscheiden.

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